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Interview mit Tamara Grcic (geb. 1964 in München, lebt in Frankfurt am Main, Bildhauerin, Fotografin, Video- und Installationskünstlerin, vertreten u. a. von der Barbara Gross Galerie, München), per mail geführt von Sabine Becker (Zentralinstitut für Kunstgeschichte) zwischen September 2013 und Februar 2014.

 

 

Sabine Becker: Ich würde gerne mit deiner aktuellen Ausstellung in der Städtischen Galerie Nordhorn beginnen. Dort zeigst du eine Installation mit dem rätselhaften und poetischen Titel „zugunruhe“. Was hat der Titel zu bedeuten?

 

Tamara Grcic: Mir ist es wichtig, dass in einer Arbeit Form und Inhalt gleichermaßen stark sind. Ausgangspunkt ist oft ein Inhalt, der im Arbeitsprozess mehr und mehr durch ein formales Nadelöhr geschoben wird.

Die Ausstellung trägt den Titel „zugunruhe“. Dieser Titel ist mit seiner semantischen Konnotation bereits ein Element der Ausstellung. Mich hat das Phänomen der Zugunruhe interessiert. Zugunruhe ist der Zustand, der bei Zugvögeln auftritt, die im Käfig gehalten und dort unruhig werden, wenn ihre Artgenossen draußen in den Süden ziehen. Die Vögel bewegen sich dann im Käfig in Zugrichtung.

 

SB: Du hast den Ausstellungsraum mit gleich großen, blauen Stoffen gegliedert, die von der Decke herunterhängen und von Luft ausströmenden Gartensprenglern bewegt werden. Aufgrund der seriellen Wiederholung der formal reduzierten und übergroßen Stoffbanner, vermittelt die Installation einen sehr formalistischen Eindruck. Ich finde es sehr klug und interessant, dass, wenn man genauer hinschaut, genau diese strenge formale Ausrichtung durchbrochen wird von verschiedenen Elementen: der leichten Bewegung der Stoffe, den Gartensprengern, die ja Alltagsgegenstände sind und, genauso wie die Früchte, die auf dem Sims einer Wand liegen, die man nur auf den zweiten Blick bemerkt und die doch recht irritierend wirken, einen Bedeutungsgehalt haben könnten. Auch die Fotografie fällt aufgrund ihrer, im Gegensatz zur seriellen Anordnung der Banner, einzelnen Präsentation aus dem Rahmen.

Ist diese Spannung zwischen dem Seriellen und dem Einzelnen, zwischen Form und Inhalt beziehungsweise Detail und Einheit etwas, was dich interessiert?

 

TG: Die Ausstellung besteht aus einem Gefüge mit unterschiedlichen Elementen, die zueinander in Beziehung stehen und auf verschiedenen Ebenen wirken. Teil der Ausstellung ist: ein konkretes Foto, das ein aufgeschlagenes Buch in einem Innenraum vor einem geschlossenen Fenster zeigt, runde gelb-rote Früchte, die weit oben auf dem Oberlichtsims in Richtung Süd-Ost liegen und fünf Stoffbahnen in verschiedenen Blautönen, die den Raum strukturieren. Davor stehen fünf Gartensprenger, die in unterschiedlichen Intervallen Luft ausströmen, so dass sich die Stoffbahnen leicht bewegen. Zu ihnen gehören blaue Schläuche und eine Luftflasche. Und man hört einen Ton, der von der ausströmenden Luft ausgeht. Er wird unterbrochen vom unterschiedlichen Takt der sich öffnenden und schließenden Ventile.
Ich arbeite gerne mit alltäglichen Materialien und nutze den Kontext, in dem sie ursprünglich verwendet werden, um sie in andere, neue Beziehungssysteme zu setzen. Dadurch lade ich die Materialien neu auf und zeige sie in einem für den Betrachter ungewohnten Kontext. An dieser Stelle spielt die Form eine große Rolle, so entsteht eine Abstraktion, die mir wichtig ist. Zwischen Konkretem und Abstraktem entsteht ein Spannungsraum, ein Bewegungsraum, den der Betrachter mit unterschiedlichsten Assoziationen füllen kann.

 

SB: Was ich sehr auffällig finde ist, dass deine Arbeiten allgemein eine sehr hohe ästhetische Qualität haben, weil sie mit bildlichen Mitteln geschaffen wurden, was die Farbauswahl oder die klare, kompositorische, oftmals harmonische Anordnung der einzelnen Elemente betrifft. Bei einigen fotografischen Serien beispielsweise („Haare“ [1997], „Turf“ [1999]) hast du die Aufmerksamkeit über die Nahsicht auf die Komposition des Bildes gelenkt, so dass auch dort ein abstraktes Bild entsteht, obwohl es sich um ein figürliches Motiv handelt. Und bei der Ausstellung „zugunruhe“ hat man den Eindruck, als sei die Installation wie ein Bild komponiert. Welche Rolle spielt „Schönheit“, die im Kontext zeitgenössischer Kunst ja kritisch betrachtet wird, bzw. welche Rolle hat das Bild in deinem medial vielfältigen Werk?

 

TG: Ich habe keine Angst vor Schönheit und arbeite auch nicht bewusst dagegen. Gleichzeitig stehen Ästhetik, Schönheit und Bild nicht im Zentrum meines Interesses. Ich arbeite mit bestimmten Materialien im Raum, die mich interessieren, und versuche diese in einen Zustand zu versetzen. So ist nicht das Bild, sondern der Zustand für mich wichtig. Ich arbeite so lange mit den Materialien im Raum, bis ich sie in den für mich „richtigen“ Zustand gebracht habe, den ich erst im Prozess des Arbeitens finde. Daraus ergibt sich dann zum Schluss das Bild.

Bei der Fotoserie „Haare“ hat mich der Zustand der unkontrollierbaren, „ungezähmten“ Haare am Hinterkopf interessiert, besonders im Winter, wo noch die Mantelkrägen etc. dazukommen. Die Fotos sind in den Straßen von New York City entstanden. Ich habe die Fotos mit einer manuellen Kamera, die mit einem Normalobjektiv ausgestattet war, aus der Bewegung heraus gemacht, ohne, dass ich die Leute um Erlaubnis gefragt hätte. Da die Fotos nicht bearbeitet sind, ist der Kameraausschnitt zugleich das Negativ. Natürlich interessiert mich hier die Farbigkeit, das Licht und die Struktur. Es ist aber nicht so, dass ich so etwas bewusst im Atelier setze oder komponiere. Vielmehr entstanden hier die Bilder und die Kompositionen aus der zufälligen Bewegung auf der Straße. In diesem Moment den richtigen Ausschnitt und das richtige Licht zu treffen, war für mich die Herausforderung. So kommt vielleicht eine „Schönheit“ zustande, die aber nicht mein Ausgangspunkt ist oder im Zentrum meines Interesses steht, sondern sich aus einer Bewegung ergibt.

 

SB: Die Serie „Still“ ist ebenfalls ein gutes Beispiel für diesen Entstehungsprozess. Denn sie verdeutlicht ja sehr schön, wie der Titel schon andeutet, dass es sich auch dort — wie ich annehme — um Momentaufnahmen handelt, die nicht im Vorfeld komponiert wurden, sondern situativ entstanden sind. Interessant ist wirklich, dass, obwohl der Entstehungsprozess nicht inszeniert ist, das Resultat doch eine hohe konzeptionelle Qualität hat. Du arbeitest ja mit ganz unterschiedlichen Medien: Installationen, Fotografien, Filme und Videos, Klang, Arbeiten im öffentlichen Raum. Hat die Auswahl des Mediums auch etwas damit zu tun, welches Medium am besten dazu geeignet ist, den „Zustand“, den du erreichen willst, optimal darzustellen?

 

TG: Die unterschiedlichen Medien sind für mich verschiedene Übersetzungsinstrumente, um Zustände in den Raum zu bringen. Jede Übersetzungsform hat seine eigenen Möglichkeiten. Manchmal habe ich auch einfach Lust auf ein bestimmtes Medium.
Bei der Serie „still“ sind es situative Momentaufnahmen, die während eines längeren Zeitraums entstanden sind. Natürlich sind in dieser Zeit viel mehr Fotos entstanden. Die Beziehung der 16 Motive zueinander hat die Auswahl bestimmt. Voraussetzung ist natürlich, dass in einem Foto genau der Moment oder auch Zustand festgehalten ist, der mich interessiert.

 

SB: Die Auswahl ist wahrscheinlich auch raumabhängig oder themenabhängig, oder?

 

TG: Die Entscheidung für ein Medium ist natürlich themenabhängig, und manchmal auch abhängig davon, für welchen Raum ich eine Arbeit entwickle.

 

SB: Mir ist aufgefallen, dass der Fokus bei den frühen Arbeiten eher auf dem Seriellen und heute eher auf dem Einzelbild liegt. Stimmt das?

 

TG: In früheren Fotoarbeiten habe ich oft seriell gearbeitet. Mir schien es wichtig, einen Zustand beziehungsweise einen Aspekt immer wieder zu umkreisen, um ihn dann fassen zu können. Inzwischen interessiert mich eher die Setzung und Beziehung unterschiedlicher Bilder zueinander.

 

SB: Es ist auffällig, dass es Motive gibt, die immer wieder auftauchen (Kleidung, Taschen mit Kleidung, grüne Flaschen …). Nach welchen Kriterien suchst du Motive aus?

 

TG: Es gibt verschiedene Materialien, die für mich eine starke Aufladung und damit Anziehung haben. Deshalb kommen sie vielleicht öfter vor, wie zum Beispiel Wolldecken, Kleidung und Taschen etc. Aber es gibt auch immer wieder Materialien, die neu dazu kommen. Vielleicht kann man sagen, dass die Materialien, die ich aktuell nutze, abstrakter werden. Anstatt Kleidung kommen jetzt einfache Stoffbahnen wie in Nordhorn vor. Die Auswahl der für mich richtigen Materialien richtet sich auch nach dem jeweiligen Projekt. Manchmal dauert es eine Weile, bis ich ein brauchbares Material finde. Das ist oft eine intensive Phase, in der der Zufall auch eine wichtige Rolle spielen kann.

 

SB: Deine Videoarbeiten und Arbeiten im öffentlichen Raum weisen, wie ich finde, einen hohen gesellschaftlichen Bezug auf (z.B. „Bolek“, „Lucy, Avonmouth“, „Grüne Flaschen“, „outside-here“ oder „Gaggiandre“ , um nur einige zu nennen). Hat dein Interesse an der Lebenswelt des Betrachters und gesellschaftskritischen Themen auch etwas mit deiner Ausbildung zur Kulturanthropologin zu tun?

 

TG: Natürlich interessieren mich diese Themen und ich finde es wichtig, dass sie als Ebenen in einer Arbeit vorkommen. Mein Studium der Kulturanthropologie war ein Versuch, dem Interesse für menschliche und gesellschaftliche Themen zu folgen und eine Bearbeitungsform dafür zu finden.Im Verlauf des Studiums wurde mir allerdings klar, dass ich eine andere, offenere und vielschichtigerere Ausdrucksweise oder Erzählweise brauche. Es ist mir wichtig, meine Arbeiten offen und komplex anzulegen. Mich interessiert gerade das Ineinander- und Miteinanderwirken von verschiedenen emotionalen und inhaltlichen, aber natürlich auch formalen Ebenen. Das Ineinanderwirken von unterschiedlichen Assoziationsebenen findet ja hauptsächlich im Kopf des Betrachters statt. Da ich oft mit realen Materialien arbeite, kann der Betrachter diese mit eigenen Erlebnissen oder Assoziationen aus seiner Lebenswelt aufladen. Ich benenne solche Themen sehr ungern direkt, finde es aber wichtig, dass sie vorkommen und sich mit anderen Ebenen mischen. Meine Arbeiten stellen also mehr etwas bereit, als dass sie Dinge konkret benennen.

 

SB: Wenn ich dich richtig verstehe, dann meinst du mit „Dinge konkret benennen“, dass du gesellschaftliche Themen zur Sprache bringst, ohne dass die künstlerische Form darunter leidet. Es gibt also immer eine Balance zwischen Inhalt und Form, die sich nicht gegenseitig dominieren?

 

TG: Ja, ich finde eine Balance zwischen Inhalt und Form wichtig, wobei das keine bewusste Entscheidung ist, sondern sich intuitiv im Arbeitsprozess ergibt. Natürlich ist diese Balance immer relativ. Es gibt Arbeiten, bei denen sich der eine Teil stärker als der andere entwickelt und ausprägt. Möglicherweise gibt es auch in den verschiedenen Werkphasen Unterschiede in der Gewichtung.

 

SB: Kommen wir zu den Arbeiten, die du für den öffentlichen Raum schaffst. Wenn man zum Beispiel „gaggiandre“ (Rettungsinseln, im Hafen der Venedig Biennale 2009 installiert, aus denen Stimmen zu hören waren), „outside-here“ (ein mit Lautsprechern ausgestattetes Wohnmobil, das über mehrere Monate 2011/12 über den Frankfurter Rossmarkt fuhr und aus dem unter anderem das Ticken einer Uhr zu hören war) oder das Vogelnest, das du für den Skulpturenpark Köln konzipiert hast, miteinander vergleicht, dann fällt auf, dass sie alle sehr unterschiedlich sind. Bei manchen steht die Atmosphäre im Vordergrund, manche haben Klang, so dass sie prozessual erfahrbar werden, andere zielen nicht nur auf die Aktivierung des Betrachters, sondern auch auf seine Interaktion (wie beim Projekt „Rossmarkt“). Doch alle Arbeiten im öffentlichen Raum haben einen spezifischen Ortsbezug. Kannst du etwas über den Entstehungsprozess der Arbeiten im öffentlichen Raum sagen?

 

TG: Mich interessiert die „Aufladung“, die ein Raum hat, sowohl bei den Arbeiten, die für Innenräume entstehen, als auch im Außenraum. Die Auseinandersetzung mit Räumen ist für mich oft Angelpunkt für neue Arbeiten. Im öffentlichen Außenraum ist die Aufladung natürlich viel komplexer und der Betrachter spielt eine andere Rolle. Hier ist es mir wichtig den spezifischen Raum in seiner größtmöglichen Vielfalt zu erfassen, um dann den Punkt für mich herauszufinden, an dem ich ansetzen und eingreifen will. Diese ersten Zugänge sind sehr unterschiedlich. Sie hängen sowohl von den Möglichkeiten eines spezifischen Ortes ab, als auch von meinem eigenen gedanklichen Standort in diesem Moment. Manchmal ist es eine Atmosphäre, manchmal eine Irritation, manchmal ein Thema oder eine Sehnsucht. Oft sind es sehr intuitive Zugänge. Sie sind der Anfangspunkt für eine Arbeit. Von hier aus entwickelt, wächst und verschiebt sich im konkreten Arbeitsprozess noch sehr viel. Manchmal kommt man am Ende an einer ganz anderen Stelle raus. Ich freue mich immer, wenn ich von einer entstandenen Arbeit überrascht werden kann.

 

SB: Zielst du auf eine spezifische Betrachtererfahrung ab, das heißt, geht es eventuell auch darum ein kritisches Bewusstsein für den Ort zu schaffen oder darum, Irritationen hervorzurufen und – im Besonderen bei den Klanginstallationen – auch darum, ein Gefühl für eine zeitliche Dauer zu schaffen?

 

TG: Mit den Soundarbeiten hat man natürlich eine direktere Möglichkeit, Zeit neu zu strukturieren und zu bearbeiten, als wenn man nur bildlich beziehungsweise installativ arbeitet. Bei der Arbeit für die Biennale in Venedig „gaggiandre“ (2009) war es mir wichtig, Ton und Bild unterschiedlich zu bearbeiten, das heißt unterschiedliche Räume im jeweils anderen Medium zu eröffnen und sie dann über die Mikrofone visuell für den Betrachter wieder zu einem Ereignis zusammenzufügen. Das Bild war statisch, aber der Ton hat sich über die Weite des Daches bewegt.

Bei der Frankfurter Arbeit „outside-here“ (2011/12) waren Bild und Ton stärker aneinander gebunden. Der Ton kam aus den in den Wohnwagen eingebauten Holzhörnern. Sie waren da, um den Ton intensiv und zielgerichtet über den Platz zu senden. Der immer wieder andere Standort des Wagens auf dem Platz schaffte immer andere Klangereignisse, je nachdem wie der aus den Hörnern gerichtete Ton gegen die Architektur prallte oder sich einen Weg dazwischen bahnte.
Man hörte vierundzwanzig Stunden unterschiedliches Sekundenzeigerticken, das jeden Tag zwischen 8:00 Uhr morgens und 8:00 Uhr abends zu jeder vollen Stunde von Musikstücken unterbrochen wurde, die verschiedene Komponisten, meist neuer Musik, für das Gespann und den Ort komponiert haben. So habe ich hier eher eine Plattform für einen an dieser Stelle irritierenden Ton geschaffen.

 

SB: Meinst du hier mit „Aufladung“, mit welcher Bedeutung (historischen, kulturellen, gesellschaftspolitischen etc. ) ein Raum oder ein Ort besetzt ist?

 

TG: Ja, Aufladung heißt, das Potential eines Raumes, das sich aus historischen, kulturellen, gesellschaftspolitischen etc. Bedeutungen zusammensetzt. Aber es geht mir hier nicht um Vollständigkeit, sondern um eine subjektive Wahrnehmung und Empfindung, die etwas in mir auslöst und „Zündungspunkt“ für eine neue Arbeit sein kann.

 

SB: Welches Interesse hast du genau am öffentlichen Raum im Unterschied zum institutionellen?

 

TG: Im Gegensatz zum öffentlichen Raum ist eine Kunstinstitution ein geschützter Raum. Er ist dafür da, um künstlerische Arbeiten unter optimalen Bedingungen zu zeigen. Trotzdem haben diese Räume auch spezifische Eigenheiten und Möglichkeiten, die ich gerne aufnehme. Manchmal bekommt eine Arbeit erst ihre endgültige Form, nachdem ich mich mit einem Raum auseinandergesetzt habe. Auch Abfolgen von Räumen interessieren mich, um Konstellationen von Arbeiten darin zu entwickeln und zu platzieren. Im Prinzip sind diese Räume wie weiße Blätter in verschiedenen Größen und Stärken, die man entsprechend mit unterschiedlichen Arbeiten besetzt. Im öffentlichen Raum ist das Papier nie weiß, sondern es ist immer schon etwas Reales darauf. Ich mag es gern mich damit auseinanderzusetzen.

Man kann einen Teil daraus aufnehmen und bearbeiten, oft entfernt man sich am Ende von dem ursprünglichen Impuls. Zum Beispiel ist für die Arbeit, die ich bald im öffentlichen Raum in Graz realisieren werde, die Mineraliensammlung des Joaneums sowie das Vulkanland in der Südoststeiermark Ausgangspunkt. Dafür bin ich in die Geologie eingestiegen, habe mit Geologen gesprochen, viel gelesen, ein Symposium besucht. Ich finde es interessant, einen möglichst intensiven Einblick in das Denken und Wahrnehmen unterschiedlicher Wissenschaften zu bekommen, wie Ausflüge in unterschiedliche Denkweisen zu machen, um von dort aus, verändert in mein Denken und Wahrnehmen, zurückzukehren.

Man kann aber auch gegen einen Raum arbeiten, Räume komplett neu aufladen und versuchen, sie in eine neue Richtung zu öffnen, wie zum Beispiel die Arbeit im Arsenale in Venedig. Da war es wichtig, in die Schönheit und Vollkommenheit dieses Raumes ganz andere Themen einzuschleusen und den Raum zu stören. Da ich in meinen Arbeiten oft reale Materialien einsetze, reizt es mich immer wieder, mit den vorhandenen Potentialen und Realitäten eines Raumes zu arbeiten.

 

SB: Kannst du schon konkreter sagen, wie die Arbeit in Graz aussehen wird?

 

TG: Die Arbeit für Graz besteht aus drei Teilen, die an drei unterschiedlichen Orten gezeigt werden.Ich bin eingeladen worden, eine Arbeit im öffentlichen Raum der Stadt Graz und in der ländlichen Region zu realisieren. Für diese Arbeit habe ich mich in der letzten Zeit intensiv mit Geologie und Sprache beschäftigt.

Im Universalmuseum Joaneum gibt es zwei Mineralienräume, die dort in ihrem ursprünglichen Zustand aus dem 19. Jahrhundert gezeigt werden. Mich haben diese Räume, die auch Ausgangspunkt für die Entstehung des Museums sind, von Anfang an fasziniert. Die drei Teile sehen folgendermaßen aus: In einem Raum der Mineraliensammlung des Joaneums zeige ich einen Film. Zu sehen sind, jeweils in Großaufnahme, sechsundvierzig unterschiedliche Gesichter, die sich gegenseitig sechsundvierzig verschiedene Farbtöne zu flüstern. Es sind sechsundvierzig Farbbezeichnungen, die im 19. Jahrhundert aus der Anschauung heraus für die Bezeichnung und Klassifizierung von Mineralien entwickelt wurden, wie zum Beispiel blasshimmelblau, haarbraun etc. Wie eine stille Post werden von Gesicht zu Gesicht diese unterschiedlichen Farbnamen geflüstert. Der geflüsterte Ton ist im Mineralienraum zu hören. Im Stadtraum von Graz arbeite ich mit verschiedenen Schulklassen zusammen, die über ein Jahr immer wieder diese Farbnamen mit weißer Kreide in den von ihnen täglich genutzten Stadtraum schreiben. Im öffentlichen Raum entsteht so ein ephemeres Gefüge von diesen rätselhaften Namen, die verblassen und wieder auftauchen.

Und in der Südoststeiermark habe ich mitten in einem Wald eine alte Steinwand gefunden, die auf einen zwei Millionen alten Vulkan zurückgeht. An diese nach Süden ausgerichtete Felswand setze ich sechsundvierzig verschieden farbige, runde Glaskolben, wie sie in der Glasherstellung Mundgeblasen werden. Ich suche in der Glashütte nicht bestimmte Farbtöne für die sechsundvierzig Farbbegriffe aus, sondern mache lediglich die Angabe, dass ich zwei verschiedene Weißtöne, zwei verschiedene Grautöne, einen Schwarzton, sieben verschiedene Blautöne, neun verschiedene Grüntöne, zehn verschiedene Gelbtöne, zehn verschiedene Rottöne und fünf verschieden Brauntöne brauche. So entsteht die Farbzuordnung nicht aus meinem subjektiven Empfinden heraus, sondern aus der Farbproduktion der Glashütte. Ich werde sie so platzieren, dass sie aus dem rohen Stein herauskommen, wahrscheinlich nach Farben geordnet und im Sonnenlicht anfangen farbig zu leuchten.

 

SB: Stimmt mein Eindruck, dass du früher mehr mit dem Medium Film gearbeitet hast und heute verstärkt Arbeiten im öffentlichen Raum realisierst?

 

TG: Ja, ich habe in der letzten Zeit viel im öffentlichen Raum gemacht. Das hat sich einfach so ergeben. Aber das wird sich auch wieder ändern. Ich habe wieder große Lust auf Film und Fotografie und gehe auch schon schwanger mit verschiedenen Projekten. Ich arbeite sehr gerne im Wechsel der Medien.

 

SB: Ich bin gespannt auf deine kommenden Arbeiten, sowie das Grazer Projekt in realisierter Form zu sehen. Herzlichen Dank für das Gespräch.